ARIS Express: Intuitives Modellieren – wenig Navigation

ARIS ExpressGroßes Interesse hatte bereits die Ankündigung einer kostenlosen Einsteigerversion der ARIS-Software ausgelöst. Seit September ist ARIS Express nun allgemein verfügbar. Voraussetzung für die Installation und Nutzung ist eine Registrierung bei der ARIS Community, wo sich auch die Online-Hilfe sowie verschiedene Video-Tutorials befinden, und wo fleißig über das neue Modellierungswerkzeung diskutiert wird. In das Forum eingestellte Fragen werden zügig und kompetent von anderen Usern und den Entwicklern selbst beantwortet.

Das Tool startet mit einer Homepage, auf der die verschiedenen Modelltypen sowie die zuletzt verwendeten Modelle übersichtlich aufgelistet sind. Die Modellierungsoberfläche selbst ähnelt stark den kommerziellen ARIS-Tools. Die Symbole wurden einem Facelifting unterzogen und sehen mit ihrem Glanzeffekt recht schick aus.

Innovationen erleichtern Modellerstellung

Bemerkenswert sind einige Innovationen, die die Modellerstellung wesentlich erleichtern und beschleunigen können. So gibt es beispielsweise einen Musterkatalog, der u. a. verschiedene Baum- und Ablaufdarstellungen enthält. Man zieht das gewünschte Muster einfach in das Modell hinein. Hierdurch wird eine entsprechende Struktur erzeugt, bei der nur noch die Namen der Objekte eingetragen und ggf. Verbindungen zu anderen im Modell vorhandenen Objekten gezogen werden müssen. Verwendet man geeignete Muster, so entfallen die ganzen Arbeitsschritte für das Einfügen und Verbinden vieler einzelner Objekte. Ebenso leicht funktioniert das Erstellen neuer Muster: Gewünschten Modellausschnitt markieren, Menüpunkt „Muster erstellen“ auswählen, einen Namen für das Muster eingeben – fertig.

Ebenso einfach lassen sich Modellinhalte textuell erstellen. So kann man z. B. die Namen aller in einem Modell benötigten Aktivitäten oder Organisationseinheiten in einem beliebigen Texteditor eingeben und nach ARIS Express kopieren. Dabei wird man nach dem gewünschten Objekttyp gefragt. Als Ergebnis wird für jede Zeile des kopierten Textes ein entsprechend benanntes Objekt eingefügt. Die dritte neue Möglichkeit, Modelle zu erfassen, heißt „SmartDesign“. Dahinter verbirgt sich eine tabellarische Eingabe, die an den jeweiligen Modelltyp angepasst ist. Damit können sowohl Hierarchien als auch Abläufe, Input- und Outputbeziehungen und sonstige Zuordnungen gepflegt und wesentlich einfacher als direkt im Modell bearbeitet werden. Das Modell selbst wird im Hintergrund automatisch mit allen Objekten und Kanten angepasst und automatisch layoutet. Die SmartDesign-Tabellen lassen sich nach eigenen Wünschen anpassen. Konsequent genutzt dürfte SmartDesign den reinen Erfassungsaufwand drastisch reduzieren.

Mit diesen Erleichterungen für die Modellierung hebt sich ARIS Express deutlich von den meisten anderen Modellierungswerkzeugen ab. Die beschriebenen Funktionalitäten sind momentan noch nicht einmal in den kostenpflichtigen ARIS-Versionen vorhanden, sollen dort aber ebenfalls zur Verfügung gestellt werden. Auch die weiteren ARIS-Express-Funktionalitäten für die Modellierung, wie Autolayout, Freiformgrafiken, beliebiges Einblenden von Objektattributen, Einfügen von Freiraum zwischen bestehende Objekte, Suche, usw. brauchen sich nicht verstecken. Sie gehen zumeist weit über das hinaus, was man von anderen kostenlosen Tools kennt. Einige Darstellungsmöglichkeiten, die bislang in ARIS oft schmerzlich vermisst wurden, finden sich nun in ARIS Express. Hierzu gehören beispielsweise bedingte Trennstriche in den Objektbezeichnungen, weitergehende Möglichkeiten der Textformatierung und die vollkommen freie Platzierung von Attributwerten.

Viel Funktionalität für eine freie Version

Wie nicht anders zu erwarten, fehlen viele Funktionalitäten der kostenpflichtigen Tools in der freien Version. So gibt es z. B. keine Möglichkeiten eigene Filter und Reports zu erstellen. Es sind lediglich vordefinierte Exporte in das PDF- und das RTF-Format möglich. Ebenso fehlen beispielsweise Funktionen zur Auswertung oder Semantikchecks von Modellen. Man darf auch keine Mehrbenutzerfähigkeit oder Mehrsprachigkeit erwarten.

Die zwei wichtigsten Unterschiede sind aber das Methodenportfolio sowie die Speicherung in Dateien. Aus der riesigen Methodenvielfalt der ARIS-Tools wurden für ARIS-Express sieben Diagrammtypen mit einem recht eingeschränkten Symbolvorrat ausgewählt. Neben Organigrammen, Wertschöpfungsketten und Ereignisgesteuerten Prozessketten (EPK) können Datenmodelle, IT-Infrastrukturen und Systemlandschaften modelliert werden. Dies ist eine recht starke Einschränkung. Auf der anderen Seite bieten diese Methoden bei durchdachtem Einsatz die Möglichkeit, die wichtigsten fachlichen Sachverhalte einer Unternehmensarchitektur abzubilden. Somit ist diese Auswahl für eine Einsteigerversion wohl gar nicht so schlecht, zumal die Zielgruppe nicht durch zu viele verschiedene Methoden verwirrt werden soll. Für alle Fälle gibt es noch ein „freies Diagramm“, in dem man mit sehr vielfältigen Formen arbeiten und diese beliebig miteinander verbinden kann. BPMN als Notation ist übrigens noch für dieses Jahr angekündigt.

Keine Verbindung zwischen Modellen – keine Sichten-Integration

Die Speicherung in Form von Dateien anstelle einer Datenbank hat nun einen sehr gravierenden Unterschied zu den kostenpflichtigen ARIS-Tools zur Folge. Ein ganz wesentliches Prinzip war es bisher, dass jedes Objekt in beliebig vielen Ausprägungen in unterschiedlichen Modellen verwendet werden kann. Wird dort also z. B. eine Rolle „Einkäufer“ in zehn Modellen verwendet, so handelt es sich immer um dasselbe Objekt. Das hat zur Folge, dass eine Änderung des Namens oder eines anderen Attributwertes automatisch in allen Modellen wirksam wird. Hierdurch ist es möglich, durch verschiedene Sichten zu navigieren, und z. B. für eine Stelle in einem Organigramm herauszufinden, an welchen Prozessen sie beteiligt ist. In ARIS Express ist dies nun völlig anders: Jedes angezeigte Objekt ist unabhängig von allen anderen Objekten. Kopiert man ein Objekt, so wird keine Ausprägung angelegt, sondern es wird das komplette Objekt kopiert. Damit geht leider auch der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Modellen verloren. Die Möglichkeiten der Navigation sind sehr deutlich eingeschränkt. Auch das Hinterlegen eines Objektes mit einem Detailmodell funktioniert lediglich über einen Hyperlink. Damit ist es z. B. nicht möglich, vom Detailmodell zum übergeordneten Modell zu navigieren.

Diese doch ziemlich gravierenden Unterschiede resultieren zum Einen aus der Speicherung in Dateien, zum anderen wird angegeben, dass das Konzept der Ausprägungen  Einsteiger überfordern würde. Das ist zwar nicht von der Hand zu weisen, doch stellt sich trotzdem die Frage, ob der vollkommene Verzicht auf den Zusammenhang zwischen den Modellen das letzte Wort bleiben sollte. Eine Idee wäre es vielleicht, sich daran zu orientieren, wie Entwicklungsumgebungen für die Programmierung, wie z. B. Eclipse, arbeiten. Diese bieten meist die Möglichkeit, sämtliche Vorkommen einer bestimmten Klasse oder Methode in allen Dateien eines Projektordners zu finden und z. B. deren Bezeichnungen auch dateiübergreifend zu ändern. Damit würde man Einsteiger wohl nicht überfordern, zumal diese Zusatzfunktionalität beim normalen Modellieren nicht stören würde. Zugleich hätte man ein ganz zentrales und sehr nützliches Prinzip der ARIS-Architektur, nämlich die Verbindung der Sichten, auch in ARIS Express zur Verfügung.

Fazit

ARIS Express ist kein Ersatz für die kostenpflichtigen ARIS-Tools. So wird auch der Modellaustausch nur von ARIS-Express zur Vollversion funktionieren, nicht jedoch in die Gegenrichtung. Dennoch bietet die Software für eine freie Version erstaunlich viel. Insbesondere die Erleichterungen bei der Modellierung sind sehr nützlich. Ein wichtiger Punkt bei der Auswahl ist, ob das angebotene Methodenportfolio den eigenen Anforderungen genügt. Interessant wird sein, wie die angekündigte BPMN 2.0-Unterstützung umgesetzt wird, und ob sich die BPMN-Modelle gut mit den Modellen anderer Sichten integrieren lassen.

7 Gedanken zu „ARIS Express: Intuitives Modellieren – wenig Navigation“

  1. >Das ist zwar nicht von der Hand zu weisen, doch stellt
    >sich trotzdem die Frage, ob der vollkommene Verzicht auf
    >den Zusammenhang zwischen den Modellen das letzte Wort
    >bleiben sollte.

    Ich denke schon, ansonsten ist der Kaufanreiz für den ARIS BA zu gering.

  2. Ich denke schon, dass die freie Version die Philosophie und die Vorteile der Plattform rüberbringen sollten. Sobald man ernsthaft tiefer in die Modellierung einsteigt, wird man Methoden anpassen, Analysen durchführen, eigene Reports erstellen wollen, usw. Da sehe ich noch genug Anreiz für den Umstieg. Die Übernahme von Modellen in die kostenpflichtigen Tools wird auch leichter, wenn modellübergreifende Konsistenz herrscht.

  3. Auch wenn ich der Aussage, dass es für ein kostenloses Tool erstaunlich viel bietet vorbehaltlos zustimme, so ist für mich das Fehlen von Ausprägungen der Haken an der Sache. Ohne diese Möglichkeit unterscheidet sich ARIS Express leider nicht wirklich von MS Visio mit einem guten Stencil. Für ernsthafte Modellierungsvorhaben ist es somit leider ungeeignet (was sicher beabsichtigt war :-)). Ebenso fehlen die Prozessschnittstellen, mit denen grosse Modelle übersichtlich gestaltet werden können.

  4. Meines Erachtens hat ARIS Express ein entscheidendes Problem:

    Es forciert einen Vendor-Lock-In! Die Daten werden ausschließlich proprietär binär ausgegeben. Da zeigt sich einmal mehr die Geschäftsphilosophie eines Riesen aus dem letzten Jahrtausend…

    Diesen nicht unentscheidenden Punkt habe ich leider in der sonst ausführlichen Review vermisst.

    Gruß
    HK

  5. @K. Friemelt

    „Ebenso fehlen die Prozessschnittstellen, mit denen grosse Modelle übersichtlich gestaltet werden können.“

    Es gibt die Möglichkeit anstatt Prozess-Schnittstellen eine Verknüpfung zur Datei mit dem jeweiligen Geschäftsprozess als Attribut anzulegen. Ist so von der IDS sicher nicht gedacht, erfüllt aber den Wunsch nach Navigation zwischen den Prozessen.

    mfg

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