BPM-Technologie: Im Backoffice oder Treiber für Business-Innovationen?

Mike Marin, Michael Rosemann, Sandy KemsleyWas sind die wichtigsten Herausforderungen im BPM? Das war das Thema einer Podiumsdiskussion auf der BPM 2011. Ist BPM-Technologie bereits eine Sache der Vergangenheit? Immerhin haben Workflow- und Business Process Management-Syteme noch längst nicht die Verbreitung und Akzeptanz gefunden, die man sich einst versprochen hat. Die direkte Einbeziehung von Fachexperten und Endanwendern in die Entwicklung von Prozessanwendungen klappt auch nicht so ganz. Sind Prozessmanagementsysteme nur eine andere Art von Entwicklungsumgebung für Informatiker?

Sandy Kemsley (rechts im Bild) bestätigte dies zum Teil aus ihrer Erfahrung. Herkömmliche BPM-Implementierungen sind vielfach bereits zu Altsoftware geworden, die relativ starr ist und Änderungen behindert, anstatt sie – wie ursprünglich propagiert – problemlos zu ermöglichen. Der ursprüngliche Workflow-Ansatz ist ihrer Ansicht nach einfach zu starr. BPM-Systeme müssten flexibel anpassbar sein – und das auch zur Laufzeit durch die Anwender. Damit knüpfte sie an ihren – im vorigen Beitrag thematisierten – Vortrag an. Nützlich findet sie auch Cloud-basierte BPM-Angebote. Sie ermöglichen es auch Mittelständlern, BPM-Systeme zu nutzen. Zuvor habe eine BPM-Implementierung immer mindestens eine Million Dollar gekostet. Und schließlich sprach sie ein Thema an, das auf der Tagung sonst völlig fehlte: Wesentlich wichtiger als Technologie sei die Frage, wie man Prozesse in der Unternehmenskultur verankert und ein Unternehmen prozess-orientiert macht.

Mike Marin von IBM (links im Bild) griff diese Thesen auf. Seiner Ansicht nach ändert sich die Art wie wir arbeiten. Die Möglichkeiten von sozialen Plattformen und Cloud-Computing kommen den Anforderungen von Wissensarbeitern entgegen. Der Ansatz, diesen Mitarbeitern ein komplett vordefiniertes Prozessmodell aufzuzwingen, funktioniere nicht. Daher plädierte auch er für Systeme, die Flexibilität zur Laufzeit aufweisen. Als Beispiel nannte er Content Management-Systeme, die früher vor allem der Speicherung und Verwaltung von Aufzeichnungen dienten. Das genüge aber nicht mehr, die Inhalte müssten aktiv zur Kommunikation genutzt werden. Als einen Schritt in die richtige Richtung sieht er das Adaptive Case Management an.

Michael Rosemann von der australischen Queensland University of Technology (Bildmitte) stellte die Frage, ob BPM-Technologie ihren Platz eher im Backoffice findet, wo sie im Hintergrund für effiziente Abläufe sorgt, oder diesen Platz im Frontoffice sucht, um aktiv die Transformation von Unternehmen voranzutreiben und neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnet. Bislang begnügten sich die Vertreter der BPM-Technologie fast ausschließlich mit dem Platz im Backoffice – um sich dann zu beschweren, dass sich das Business nicht für sie interessiert. Auch Technologieanbieter seien oft nicht in der Lage, wirklich überzeugende Szenarien für den Einsatz ihrer Software zu liefern.

Prozessmanagement-Software könne tatsächlich ganz neue Möglichkeiten eröffnen, wenn sie z. B. Ereignisse und Regeln mit Personen, ihrem sozialen Kontext und ihrem Aufenthaltsort verbindet. Als Beispiel nannte er, dass einen das eigene Auto nicht nur dorthin bringt, wo man möchte, sondern situationsabhängig zugleich über eine Internetplattform (wie www.parkatmyhouse.com) einen Parkplatz bei einem Anwohner bucht. Über die Cloud lassen sich Prozesse, Ereignisse und Regeln als Services bereitstellen und intelligent miteinander verknüpfen. Wenn es etwa gelinge, über die Verarbeitung sozialer Signale früher als die Konkurrenz zu erkennen, dass jemand eine Reise plant und ein Hotel und eine Flug benötigt, dann bringe die Software echten Vorteil für das Unternehmen.

Die drei Beiträge führten zu teilweise recht kontroversen Diskussionen um die Rolle der BPM-Technologie. So meinte ein Zuhörer, es könne nicht die Aufgabe der IT sein, neue Geschäftsideen zu generieren. Die Meinung auf dem Podium war hingegen, dass die Business-Seite meist gar nicht in der Lage sei, die Möglichkeiten neuer Technologien einzuschätzen. Daher müsse die IT sehr wohl entsprechende Impulse liefern und sich vom Backoffice ins Frontoffice entwickeln.

Ebenso kontrovers wurde die Rolle und Ausrichtung der „BPM-Community“ diskutiert. Michael Rosemann konstatierte, dass es zwei völlig unterschiedliche Communities gebe. Auf Gartner-Konferenzen zum Thema BPM werden etwa völlig andere Themen als auf der gegenwärtigen Tagung diskutiert.

Hier noch einige Anmerkungen aus meiner Sicht:
An und für sich wird diese Diskussion um die Ausrichtung der IT in CIO-Kreisen schon länger geführt. Dort zeichnet sich eine Aufsplittung ab: Einerseits gibt es IT-Manager, die als strategischer Partner des Business neue strategische Möglichkeiten entwickeln, andererseits gibt es die Manager, die sich um die effiziente Erbringung von IT-Dienstleistungen kümmern. An und für sich müsste man vermuten, dass man sich mit Technologien zur Unterstützung des Prozessmanagements näher am Business befindet. Doch auch hier scheint es die Zweiteilung zu geben: Die einen, die sich darum kümmern, dass die Process Engines laufen und die anderen, die sich Gedanken um die strategischen Möglichkeiten solcher Technologien machen.

2 Gedanken zu „BPM-Technologie: Im Backoffice oder Treiber für Business-Innovationen?“

  1. Das Fazit, das ich aus Ihren beiden Artikeln zu diesem BPM-Event ziehe ist, dass das Lagerdenken in BPM, ECM, ACM, ECM und was immer wir für Akronyme schon gesehen haben, stehend für Systeme, die helfen sollen, die Abwicklung von Geschäften prozessual Business effizienter und damit konkurrenzgfähiger zu machen, bald der Vergangenheit angehören wird und wir neuartigere Software-Entwicklungssysteme werden. Diese werden es erlauben, jedweden Content (Information), ob strukturiert oder unstrukturiert zu verwalten, diese in ebenso strukturierten und unstrukturierten Prozessen zu nutzen, die nach Bedarf flexibel vom Anwender angepasst werden können genauso wie die Benutzerobeflächen als auch die Struktur der Informationsobjekte und Regeln selbst. Und da die Büroarbeitswelt immer mehr in Richtung Wissensarbeit unter vernetzten Experten geht, wird auch die Einbundung der neuen sozialen Medien mit Chats, Micro-Infos, Tagging und Bewertungen mit dazu gehören. Aber ganz besonders werden die Systeme das Verhalten der Benutzer analysieren, um für die jeweils nächsten Arbeitsschritte entsprechende Vorschläge zu machen.
    Das wird zwar noch ein wenig Zeit brauchen, bis das alles zusammen problemlos zu haben ist, aber in Teilen können wir das schon heute sehen.
    Und da Akronyme immer wieder gerne genommen sind. Ich bin gespannt, wann Gartner die ECM und BPM Magic Quadranten zusammenbringt und diesen dann EIM für Enterprise Information Management nennen wird, wie dies Ulrich Kampffmeier ja schon seit ein paar Jahren nutzt.
    Ich habe gerade noch mal meine Artikel aus dem letzten Jahr angeschaut und noch diesen gefunden: Es wächst zusammen, was zusammen gehört: BPM und ECM. In Gleichberechtigung? Oder wird einer assimiliert? http://bit.ly/o1YkVS
    Der Trend des Zusammengehens ist also gut abzusehen …

  2. Ja, das zeichnet sich ab und ist sicher sinnvoll, weil reale Prozesse und Probleme fast nie exakt in eine bestimmte Schublade passen. Auf der anderen Seite wird das Leben für die Prozessmanagement-Experten nicht einfacher, weil es keine durchgängigen Methoden zur Verknüpfung der verschiedenen Systemtypen gibt, und man landet bei einer heterogenen Landschaft, bei der eine Process Engine mit einer Business Rule-Engine, einem Content Management usw. verbunden ist, aber die Gesamtsicht auf die entstehenden Artefakte völlig verloren geht. Wer z. B. versucht, die entstehenden Anwendungen zu debuggen, hat auf jeden Fall viel Spaß. Auch eine einfache Änderung wird dadurch extrem schwierig, weil man ganz verschiedene Beschreibungen in ganz verschiedenen Systemen anpassen muss. Und schon landen wir wieder in der Altsystem-Falle, weil die Systeme so kompliziert werden, dass man froh ist, wenn sie laufen, und man sie lieber nicht mehr anpasst.

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