Visuelle Darstellungen in Modellierungsnotationen sind amateurhaft

Daniel Moody auf BPM 2011Zum Abschluss der BPM 2011 hielt der australische Modellierungsexperte Daniel Moody ein Tutorial über den Entwurf grafischer Modellierungsnotationen. Dieses Tutorial bildete aus meiner Sicht einen weiteren Höhepunkt der Tagung. Leider verzögerte sich der Beginn aufgrund eines Streiks des öffentlichen Nahverkehrs, so dass ich es nur teilweise mitbekam. Moody beschäftigt sich aus wissenschaftlicher Sicht damit, wie gut verständlich eine Notation ist. Und er stellt den meisten grafischen Notationen ein schlechtes Zeugnis aus. Bei den meisten grafischen Notationen seien die damit erstellten Modelle nachweislich ineffizienter als textuelle Beschreibung. Insbesondere für Fachanwender seien die Diagramme sehr schwer verständlich.

Er findet das auch nicht weiter verwunderlich, denn bei keiner der bekannten grafischen Notationen für die Prozessmodellierung oder die Softwareentwicklung habe man sich überhaupt Gedanken über die Verständlichkeit der verwendeten Symbole gemacht. So schweigen sich etwa die umfangreichen Spezifikationen von UML oder BPMN komplett darüber aus, warum bestimmte Symbole für bestimmte Sachverhalte verwendet werden. Das Augenmerk bei der Entwicklung von Notationen liege ausschließlich auf der Semantik. Die Wahl der Darstellungsmittel erfolge meist rein intuitiv – man könnte auch sagen: komplett amateurhaft. Während es für die Entwicklung grafischer Benutzungsoberflächen heute selbstverständlich ist, Grafikdesigner und Ergonomen zurate zu ziehen, wird bei der Entwicklung grafischer Notationen komplett darauf verzichtet.

Moody bezieht sich bei seiner Kritik grafischer Modellierungsnotationen auf wissenschaftliche Erkenntnisse aus ganz unterschiedlichen Bereichen, wie z. B. Psychologie, Lernforschung, Kartografie, Typografie und vielen anderen. Auf dieser Grundlage entwickelte er insgesamt neun Design-Prinzipien für den Entwurf grafischer Notationen. Beispielhaft seien hier zwei Prinzipien genannt: Semiotische Klarheit und wahrgenommene Unterscheidbarkeit.

Semiotische Klarheit bedeutet, dass jedes Konzept durch genau ein Symbol ausgedrückt wird. Gegen dieses Prinzip verstößt etwa die BPMN an vielen Stellen. So gibt es für viele Sachverhalte gleich mehrere Darstellungsmöglichkeiten. Beispielsweise kann eine exklusive Verzweigung entweder durch eine leere Raute, eine Raute mit einem X oder bedingten Sequenzflüssen dargestellt werden. Umgekehrt gibt es auch unterschiedliche Sachverhalte, die auf dieselbe Weise modelliert werden, wie z. B. gerichtete Assoziationen und Datenassoziationen.

Das Prinzip der wahrgenommenen Unterscheidbarkeit zweier Symbole hängt davon ab, in wie vielen unterschiedlichen Eigenschaften (Form, Farbe, Größe, Orientierung usw.) sie sich unterscheiden, und wie stark der Unterschied ist. So haben USA-Besucher häufig Probleme, die verschiedenen Dollarscheine zu unterscheiden, weil sie sich wenig unterscheiden. Euro-Scheine weisen eine höhere wahrgenommene Unterscheidbarkeit auf. Sie unterscheiden sich z. B. stark in Farbe und Größe. Bei den meisten Modellierungsnotationen gibt es eine Reihe von zentralen Elementen, die sich verhältnismäßig wenig unterscheiden. So tauchen etwa Rechtecke in zahlreichen Variationen auf: Mit gewöhnlichen Ecken, mit abgerundeten Ecken oder mit einem kleinen Eselsohr an einer Ecke. Insbesondere für Anfänger ist der kognitive Aufwand für das Entziffern der Modelle wesentlich größer, als wenn sich die Symbole sehr deutlich unterscheiden. So wurde etwa bei Entity-Relationship-Modellen experimentell festgestellt, dass es anfangs oftmals ein Problem darstellt, Entitäts- und Beziehungstypen zu unterscheiden, weil beide durch Rechtecke dargestellt werden und sich nur in der Orientierung unterscheiden (Beziehungstypen werden durch Rauten dargestellt, also um 45 Grad gedrehte Quadrate).

Bislang gab es auf die erläuterten Defizite der häufig verwendeten Notationen wohl erst zögerliche Reaktionen von Methodenentwicklern und der OMG als wichtigem Standardisierungsgremium. Natürlich ist es unbequem, noch einmal ganz neu über etablierte Notationen nachzudenken. Auch den Vorwurf amateurhaften Vorgehens mag natürlich niemand gerne hören. Dennoch herrscht hier deutlicher Handlungsbedarf. Denn wenn die Behauptung stimmen sollte, dass Notationen wie UML und BPMN schlechter verständlich sind als Text, dann wird ja die Begründung für die grafische Modellierung an sich hinfällig.

3 Gedanken zu „Visuelle Darstellungen in Modellierungsnotationen sind amateurhaft“

  1. Das ist mal eine interessante Kritik an der grafischen Art und Weise einer Prozessdokumentation.
    Aber was soll daran schlecht sein, wenn auf intuitiver Basis Symbole gefunden werden, wenn in diesem Findungsprozess weltweit Menschen beteiligt waren. Intuition ist unsere größte Stärke überhaupt, die wir viel mehr nutzen sollten. Ich hatte mal darüber geschrieben, wie uns Intuition in unserer komplexen Geschäftswelt, die nicht berechenbar ist, helfen kann: http://bit.ly/oYhnri .
    Auch das Argument, dass wir einen bestimmten Sachverhalt, wie das XOR-Verzweigen auf mehreren Wegen beschreiben können, ist in meinen Augen nicht schlimm. Unsere Sprache bietet ebenfalls große Gestaltungsmöglichkeiten und führt damit immer wieder zu Kommunikationsproblemen. Zudem wird ja auch seitens der Autoren des BPMN Praxishandbuchs empfohlen, sich zu Beginn des Modellierens einen Leitfaden zu verpassen, der Festlegt, was und wie viel der BPMN benutzt werden soll.
    Meine inzwischen 19 Jahre Modellierungserfahrungen zeigen, dass ein grafisches Modell eine bessere Möglichkeit bietet, sich schneller einen Überblick über die Ganzheit eines Prozesses zu verschaffen. Aber keine Frage, das Bild allein reicht nie. Es braucht immer auch einen begleitenden Text für die einzelnen Aufgaben. Zudem macht es Sinn, bei zu vielen Ausnahmen von der Regel, diese nur textuell festzuhalten.
    Fazit: die Kombination macht´s. Ich für meinen Teil mag die Grafik nicht missen. Das ist immer der erste Weg, mit anderen Menschen ins Gespräch über die Arbeitsabläufe zu kommen.
    Da fällt mir gerade noch ein Artikel ein, den ich über tangible BPM geschrieben hatte, einer Methode mit vorgefertigten Elementen an Tischen zu arbeiten: http://bit.ly/r2M9XD

  2. Die Modellierung zum Anfassen gefällt mir gut. Dazu gab es auf der Konferenz einen ganz witzigen Prototypen, mit der man etwas Ähnliches in einer dreidimensionalen virtuellen Welt machen kann, wenn man ein verteiltes Team hat, das sich nicht so einfach physisch treffen kann.

    Zu Moody’s Kritik an der grafischen Modellierung: Diese richtet sich nicht gegen die grafische Modellierung an sich. Er behauptet aber (und stützt sich dabei auf empirische Forschungsergebnisse), dass Notationen wie UML und BPMN nachweisbar viele Eigenschaften haben, die dazu führen, dass die grafischen Modelle schlecht verständlich seien. Daher plädiert er dafür, Notationen nicht rein intuitiv durch Methodenexperten zu entwickeln lassen, sondern wissenschaftliche Erkenntnisse mit berücksichtigt. So wie Benutzungsoberflächen von Software heute – glücklicherweise! – eben auch nicht mehr rein intuitiv entwickelt werden, sondern unter Hinzuziehung von Usability Experten.

    Die Anpassung von Methoden mit Hilfe von Methodenkonventionen würde er sicher als eine Verbesserung der visuellen Eigenschaften ansehen, wenn man sich auf eines von mehreren alternativen Symbol festlegt. Das wäre dann eine Behebung von „Designfehlern“ der zugrunde liegenden BPMN-Spezifikation.

    Das Argument mit der Mehrdeutigkeit der natürlichen Sprache, würde er wahrscheinlich auch nicht gelten lassen, da er als Ziel einer Notation sieht, gewisse Inhalte besser kommunizieren zu können als die natürliche Sprache. Als ein Beispiel nannte er elektronische Schaltpläne. Diese lassen sich recht eindeutig lesen. Allerdings ist dazu eine umfassende Ausbildung nötig. Bei Prozessmodellierungsnotationen hält er es dagegen für wünschenswert, dass auch Business User diese ohne tagelanges Training verstehen.

    Ein anderes Beispiel einer ziemlich eindeutigen Notation ist die Notenschrift der Musik. Musiker können damit Jahrhunderte alte Stücke von längst verstorbenen Komponisten spielen.

    Ich selbst bin auch ein großer Fan der grafischen Modellierung. Wenn es Ansatzpunkte gibt, diese zu verbessern, würde ich mir schon wünschen, dass diese in die Weiterentwicklung unserer Notationen einfließen.

    Es gibt auch ein wissenschaftliches Paper von Moody: The „Physics“ of Notations“.
    http://www.computer.org/portal/web/csdl/doi/10.1109/TSE.2009.67/

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