Die tatsächlich abgelaufenen Prozesse analysieren

Screenshot Disco Process MiningDie Analyse von Geschäftsprozessen wird meist auf Grundlage von Prozessmodellen durchgeführt, die mit Hilfe von Interviews und Workshops erhoben wurden. Diese Modelle stellen somit dar, wie der Prozess nach Ansicht der involvierten Mitarbeiter abläuft. Der tatsächliche Ablauf kann sich jedoch in vielen Fällen deutlich von dieser Idealvorstellung der Beteiligten unterscheiden. Beim Process Mining wertet man daher die Daten der tatsächlich durchgeführten Prozesse aus. Dies setzt voraus, dass der Prozess IT-gestützt abläuft und entsprechende Daten in den verwendeten IT-Systemen vorliegen. Mit Hilfe spezieller Algorithmen und Auswertungstools lassen sich daraus Schwachstellen, Probleme und Abweichungen von den vorgegebenen Prozessen analysieren.

Trotz nachweisbarer Potenziale und Einsparmöglichkeiten ist der Markt für Process Mining bisher recht überschaubar. Die Firma Fluxicon ist einer der Anbieter, die sich auf dieses Thema spezialisiert haben. Die Gründer des Unternehmens, Anne Rozinat und Christian Günter, bieten mit ihrer Software „Disco“ ein Process Mining-Tool an, das sich durch gute Benutzbarkeit auszeichnet und auch von Nicht-Experten genutzt werden kann. Hier spielen intuitiv verständliche Darstellungen in Form von Prozessmodellen und interaktiv anpassbare Visualisierungen eine wichtige Rolle. Voraussetzung dafür sind schnelle Auswertungsalgorithmen, damit die Benutzer etwa für den Vergleich unterschiedlicher Szenarien nicht lange warten müssen – auch bei großen Datenmengen.

Daten über die tatsächlich abgelaufenen Prozesse benötigt

Diese Eigenschaften unterscheiden „Disco“ als kommerzielles Produkt von den Process Mining-Werkzeugen der akademischen Forschung, die z. T. als Open Source verfügbar sind. Fluxicon entstand ursprünglich selbst als Spin-Off der Process Mining-Forschungsgruppe an der Technischen Universität Eindhoven. Deren Leiter, Professor Wil van der Aalst, ist der führende Experte im Bereich Process Mining. Er sitzt auch im Fluxicon-Beirat, so dass ein ständiger Austausch mit der Forschung gegeben ist.

Wie funktioniert die Prozessanalyse mit Fluxicon? Zunächst müssen die Daten über die tatsächlich abgelaufenen Prozesse bereitgestellt werden. Wird der Prozess durchgängig von der Process Engine eines BPMS gesteuert oder etwa über eine Adaptive Case Management-Plattform abgewickelt, die sämtliche Ereignisse als Audit Trail speichert, so ist dies vergleichsweise einfach, da die Daten bereits in einer recht gut auswertbaren Form vorliegen. Wesentlich schwieriger wird es, wenn herkömmliche, funktionsorientierte IT-Systeme eingesetzt werden, die beispielsweise über keinen einheitlichen Identifizierer für einen kompletten Prozessdurchlauf verfügen. Verläuft der Prozess gar über mehrere unterschiedliche Systeme hinweg, wird es noch mühsamer, die zu einem bestimmten Prozess gehörenden Daten zuzuordnen. Fluxicon bietet keine vorgefertigen Standardadapter zur Datenextraktion an. Diese muss ggf. individuell realisiert werden.

Interaktive Visualisierungen

Disco benötigt als Input ein Event Log, das mindestens eine Case-ID (Identifzierer der Prozessinstanzen) und die aufgetretenen Ereignisse (z. B. Beginn und Ende von Aktivitäten) mit Zeitstempeln enthält. Es lassen sich aber auch zugeordnete Ressourcen und weitere Attribute verarbeiten. So kann es beispielsweise hilfreich sein, Prozesskennzahlen hinsichtlich unterschiedlicher Produkte, Kundengruppen, Vertriebskanälen, Organisationseinheiten oder Auftragswerten auszuwerten.

Für die Analyse der importierten Prozessdaten stehen drei verschiedene Ansichten zur Verfügung: Ein grafisches Prozessmodell, eine Statistik-Ansicht und eine Darstellung der einzelnen Cases, d. h. Prozessinstanzen. Im grafischen Prozessmodell werden die durchgeführten Aktivitäten angezeigt sowie alle Übergänge, die zwischen den Aktivitäten vorgekommen sind. Dabei werden die Aktivitäten entsprechend der Häufigkeit ihrer Durchführung unterschiedlich eingefärbt. Die Dicke der Pfeile zwischen den Aktivitäten zeigt an, wie häufig ein bestimmter Übergang stattgefunden hat. Somit lässt sich schnell erkennen, wo sich das hauptsächliche Geschehen in dem Prozess abgespielt hat. Neben den Häufigkeiten lassen sich auch die Durchlaufzeiten visualisieren. Die Darstellung kann auf verschiedene Weise angepasst werden, z. B. kann man nur selten durchgeführte Aktivitäten oder Pfade ausblenden, wenn man sich auf die typischen Fälle konzentrieren möchte. Die Prozessmodell-Ansicht bietet zudem eine grafische Animation. Darin kann man beispielsweise gut erkennen, vor welchen Aktivitäten sich lange Warteschlangen gebildet haben.

Drill-Down bis auf einzelne Prozessinstanzen

In der Statistik-Ansicht stehen zahlreiche Prozesskennzahlen-Charts und Tabellen zur Verfügung. Neben unterschiedlichen Auswertungen zu Häufigkeiten und Dauern von Prozessinstanzen und einzelnen Aktivitäten kann man auch den Ressourcen-Einsatz und die Werte beliebiger anderer, mit den Prozessdaten importierter, Attribute analysieren. Für gezielte Auswertungen können die Prozessdaten nach diversen Kriterien gefiltert werden. So kann man etwa eine Einschränkung auf die Prozessinstanzen vornehmen, bei denen eine bestimmte Aktivität übersprungen wird, oder auf die, die mit einer bestimmten Aktivität enden. Die gefilterten Datensätze können für weitere Auswertungen gesondert abgespeichert werden.

Möchte man in den Statistik-Charts gefundene Auffälligkeiten näher analysieren, so kann man per Drill-Down bis auf einzelne Prozessinstanzen herunter navigieren. Diese werden in der Case-Ansicht dargestellt. Hier kann man sich für jede Prozessinstanz die durchgeführten Aktivitäten mit sämtlichen Details ansehen, wie Beginn, verwendete Ressourcen und die Werte weiterer Attribute. Diejenigen Prozessinstanzen, die dieselben Aktivitäten in derselben Reihenfolge durchlaufen haben, werden zudem zu Case-Varianten zusammengefasst. So kann man z. B. alle Instanzen untersuchen, bei der bestimmte Rücksprünge zu früheren Aktivitäten stattgefunden haben.

Problemursachen identifizieren, die mit herkömmlichen Methoden nicht gefunden werden

Das Versprechen der intuitiven Bedienbarkeit haben die Disco-Entwickler erfüllt. Man findet sich sehr schnell in der Oberfläche zurecht, und die verschiedenen Analyse- und Interaktionsmöglichkeiten erschließen sich meist auch ohne die direkt in die Oberfläche einblendbaren Hinweise der Online-Hilfe. Um gute und sinnvolle Ergebnisse zu erzielen genügt jedoch die Beherrschung des Werkzeugs noch nicht. Man muss sich vielmehr mit der Methodik des Process Minings auseinandersetzen. So spielt etwa die Auswahl geeigneter Attribute und Identifizierer beim Datenimport eine wichtige Rolle.

In verschiedenen Fallstudien konnten mit Hilfe des Process Mining Ursachen für Probleme gefunden werden, die sich mit herkömmlichen Prozessanalyse-Methoden nicht ermitteln ließen. Voraussetzung sind aber wie gesagt eine durchgängige IT-Unterstützung der Prozesse und die Möglichkeit einer prozessbezogenen Datenextraktion aus den eingesetzten Informationssystemen.

4 Gedanken zu „Die tatsächlich abgelaufenen Prozesse analysieren“

  1. Sehr geehrter Herr Prof. Allweyer,

    vor vielen Jahren -zur Jahrtausendwende- hatte ich mich mal intensiver mit dem ARIS PPM (Process Performance Manager) aus Anwendersicht befasst, für den ja SAP-Adaptoren zur Datenextraktion vorlagen. Das Produkt wird ja heute noch von der Software AG angeboten.

    Sind die Produkte ARIS PPM und Disco vergleichbar? Wo sehen Sie die wesentlichen Unterschiede?

    Danke für „erste Hinweise“.

    Viele Grüße
    Ulf Reupke

  2. Ja, die beiden Produkte gehen in die gleiche Richtung. Für einen Vergleich müsste man sich die aktuelle Version von ARIS PPM genauer ansehen. Ich schätze Disco eher als leichtgewichtiges Analyse-Tool ein, wogegen ARIS PPM eher eine Process Intelligence-Plattform darstellt, mit verschiedenen Standard-Adaptern, Management-Dashboard etc.

  3. Guten Tag Herr Prof. Allweyer,
    könnten Sie OSS Alternativen empfehlen, mit denen man das ausprobieren kann?
    Besten Dank
    Mit freundlichen Grüßen
    Valerio Neri

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