BPM – Hype oder dauerhafte Entwicklung?

Geschäftsprozessmanagement oder „Business Process Management“ (BPM) ist „in“. Kaum ein Zeitschriftenartikel und kaum ein Konferenzbeitrag, sei es zu betriebswirtschaftlichen oder zu IT-Themen, verzichtet darauf, die Bedeutung der Geschäftsprozesse hervorzuheben. Beschäftigen Sie sich mit Trends und neuen Geschäftsmodellen in einer bestimmten Branche? Ohne geeignete Geschäftsprozesse scheint es nicht zu gehen. Arbeiten Sie in der Software-Entwicklung? Achten Sie darauf, dass Ihre Software die Geschäftsprozesse möglichst gut unterstützt. Oder führen Sie gleich ein Business Process Management-System (BPMS) ein. Sie sind Qualitätsmanager? Dann kommen Sie sowieso nicht ohne Prozesse aus. Ob Buchhalter, Krankenschwester oder Handwerker: In jedem Unternehmen gibt es Prozesse, fast jeder von uns arbeitet in Prozessen. Und diese sollten möglichst effektiv und effizient sein. Von daher ist es naheliegend, dass das Thema Geschäftsprozessmanagement für jedes Unternehmen von Bedeutung ist.

Andererseits lässt der große Medienrummel um das Thema BPM befürchten, dass momentan wieder ein Hype entsteht, der früher oder später in der Versenkung verschwindet. Erinnern Sie sich noch an das Thema „Wissensmanagement“? Glaubte man manchen Prophezeiungen, die vor einigen Jahren durch die Presse geisterten, so müssten heute die meisten Unternehmen von der Bildfläche verschwunden sein, die kein groß angelegtes Corporate Knowledge Management-Programm aufgesetzt haben. Und die weiterhin erfolgreichen Unternehmen müssten allesamt einen „Chief Knowledge Officer“ (CKO) in der Unternehmensführung haben. So wichtig die Ressource Wissen auch sein mag – Wissensmanagement ist aus den Schlagzeilen verschwunden.

Auch um die Geschäftsprozesse gab es ja bereits in den neunziger Jahren einen großen Hype. Viele wollten damals nach dem Rezept von Hammer und Champy („Business Reengineering. Die Radikalkur für das Unternehmen“ (Anzeige)) Unternehmen radikal umgestalten. Nach anfänglichen Erfolgsmeldungen zum „Business Process Reengineering“ (BPR) häuften sich die Berichte über gescheiterte Projekte, und das Thema verschwand in der Versenkung.

Wird das gegenwärtige Interesse am Geschäftsprozessmanagement ebenso abflauen? Handelt es sich wie bei so vielen neuen Organisations- und IT-Themen wieder nur um eine Mode, um einen vorübergehenden Hype? Oder steckt mehr dahinter, und wir haben es mit einer dauerhaften Entwicklung zu tun?

Einige Beobachtungen lassen befürchten, dass es sich nur um einen vorübergehenden Trend handeln könnte:

  • Glaubt man manchen Veröffentlichungen, so ist BPM die endgültige Lösung für fast alle Probleme im Unternehmen. Smith und Fingar versprechen in ihrem Buch „Business Process Management: The Third Wave“ (Anzeige) gar Wettbewerbsvorteile für die nächsten fünfzig Jahre. Derart hochfliegende Versprechungen sind nicht einzuhalten, und Enttäuschungen sind vorprogrammiert.
  • Unter dem Schlagwort „BPM“ oder „Geschäftsprozessmangement“ werden ganz unterschiedliche Konzepte und Lösungen verstanden. Je nach Schwerpunkt des jeweiligen Autors versteht dieser darunter eher ein Konzept zur Reorganisation des gesamten Unternehmens, zur Effizienzsteigerung, zur Dokumentation und Qualitätssicherung oder zum Aufbau von Informationssystemen. BPM wird als recht dehnbarer Begriff verwendet. Die Beschränkung auf isolierte Einzelaspekte wird aber nicht unbedingt zu dauerhaften Erfolgen führen. Wird BPM aber als reines Schlagwort benutzt, so ist es nur eine Frage der Zeit, bis es von einem anderen, „moderneren“ Schlagwort abgelöst wird.
  • Insbesondere Software-Anbieter tendieren gegenwärtig dazu, ihr jeweiliges Produktportfolio unter der Bezeichnung „Business Process Management-System“ (BPMS) zu vermarkten. Hier wird gerne der Eindruck erweckt, Geschäftsprozessmanagement sei mehr oder weniger mit der Einführung und dem Betrieb einer bestimmten Software-Architektur gleichzusetzen. Damit wird das umfassende Thema BPM auf einen Teilaspekt reduziert. Auch hier wird es viele Enttäuschungen geben, weil sich alleine durch die Einführung eines neuen Systems die Prozesse nicht grundlegend verbessern und der gewünschte Nutzen für das Unternehmen nicht eintrifft.
  • Eine Reihe von Geschäftsprozessmanagement-Initiativen haben es in der Vergangenheit nicht geschafft, nachweisbaren Nutzen für das Geschäft in Form von Kosteneinsparungen oder Umsatzsteigerungen zu generieren. In solchen Projekten wurde viel Aufwand für die umfassende Dokumentation und detaillierte Analyse von Prozessen betrieben ohne dass die Ergebnisse letztlich in Form grundlegender Verbesserungen umgesetzt wurden. Auch wenn dies kein Fehler der Geschäftsprozessmanagement-Idee an sich ist, sondern ein Problem der halbherzigen Umsetzung, führt dies doch zu einer gewissen Skepsis und zu Aussagen wie „Geschäftsprozessmanagement? Wir haben es probiert, und es hat nichts gebracht!“

Dennoch spricht einiges dafür, dass sich das Thema Prozessmanagement dauerhaft als selbstverständliches Element guten Managements und als unverzichtbare Voraussetzung für den betrieblichen IT-Einsatz etablieren dürfte:

  • Mittlerweile ist die zentrale Rolle der Geschäftsprozesse im Unternehmen unbestritten. Kaum ein aktuelles Management- und Organisations-Konzept, bei dem es nicht erforderlich wäre, sich mit den zugrundeliegenden Prozessen zu beschäftigen: Angefangen von der unternehmensübergreifenden Gestaltung der Wertschöpfungskette über Fragen des Outsourcing, Risikomanagement, Informationsmanagement, E-Business, Kostenrechnung, bis hin zum Dokumenten-Management. Insbesondere die zunehmende Industrialisierung von Dienstleistungen erfordert eine genaue Definition der zu ihrer Erbringung erforderlichen.
  • Folgerichtig sind viele wichtige Normen, Standards, Branchenrichtlinien und -referenzmodelle prozessorientiert aufgebaut. Ob ISO 9000, TS16949, SCOR, EFQM, COBIT, ITIL, eTOM, ebXML, SOX, Basel II … – sie alle orientieren sich entweder explizit an den betreffenden Geschäftsprozessen, oder sie erfordern in der Anwendung eine geeignete Gestaltung und Überwachung der relevanten Abläufe. Schon aus diesem Grunde sind die meisten Unternehmen gezwungen, sich zumindest mit einigen Aspekten ihrer Prozesse zu befassen. Und mittelfristig werden die Themen „Compliance“ (wörtlich „Einhaltung“ von Gesetzen und Richtlinien) und „Corporate Governance“ (sinngemäß: Grundsätze verantwortungsvoller Unternehmensführung) weiter an Bedeutung gewinnen, was die Motivation erhöhen dürfte, die verschiedenen Anforderungen mit Hilfe einer einheitlichen, integrierten Prozessdokumentation zu erfüllen.
  • Auch wenn es sich beim Prozessmanagement nicht zuerst um ein IT-Thema handelt, ist die IT dennoch ein treibender Faktor für die Fokussierung auf Geschäftsprozesse. Service-orientierte Architekturen und Business Process Management-Systeme ermöglichen es, weitgehend unabhängige Services entlang der Prozesse zu verknüpfen. Hierzu muss man die Prozesse aber erst einmal identifizieren – und sicherstellen, dass die dokumentierten Prozesse auch die tatsächlich gelebten Prozessen wiedergeben. Doch auch bei der herkömmlichen Software-Entwicklung und -Einführung haben Prozessmodelle und -beschreibungen zur Überbrückung der Kluft zwischen Fachbereichen und IT-Experten eine hohe Bedeutung gewonnen.
  • Geschäftsprozessmanagement ist nicht nur ein Thema in der Presse oder in der Forschung, sondern vor allem in der Praxis. In einer aktuellen Umfrage gaben knapp 80% der befragten Unternehmen im deutschsprachigen Raum an, dass sie sich stark oder sehr stark mit diesem Thema beschäftigen (IDS Scheer/PAC: Business Process Report 2007).
  • Entsprechend wandert das Thema auch zunehmend in die Curricula der Hochschulen. Wer heute Wirtschaftsinformatik oder Wirtschaftsingenieurwesen studiert, lernt die Grundlagen des Geschäftsprozessmanagements kennen. Aber auch in die Lehrpläne für Kaufleute, Informatiker, Ingenieure usw. hält es zunehmend Einzug. Dies ist ein klares Zeichen für die Etabliertung dieses Themas. Für die Absolventen von morgen wird das Denken in Prozessen zur reinen Selbstverständlichkeit.
  • Was aber das Wichtigste ist: Zunehmend berichten Unternehmen, die Ernst machen mit einem durchgängigen Prozessmanagement, über konkrete Erfolge. Noch vor wenigen Jahren hieß „Prozessmanagement“ oftmals Prozessmodell-Tapeten zu malen, die schon bald nicht mehr mit der Realität übereinstimmten und eigentlich nicht richtig genutzt wurden. Das hat sich vielerorts grundlegend geändert. Als ich jüngst die Gelegenheit hatte, mit Prozessmanagern ganz unterschiedlicher Firmen zu sprechen, berichteten diese beispielsweise davon, dass der Entwicklungsstand und die Perfomance der Prozesse ganz konkret in die Bewertung von Unternehmenseinheiten und Mitarbeitern eingehen und damit auch prämienrelevant sind. Oder es wird die Anforderungsdefinition für die Software-Entwicklung komplett auf Grundlage der Prozessmodelle durchgeführt. Ein Unternehmen hatte seine Aufbauorganisation komplett umgestellt und konsequent an den Prozessen ausgerichtet. Dieses Unternehmen konnte ebenso wie manch anderes auch über konkrete finanzielle Erfolge für das Gesamtunternehmen berichten.

Dies alles spricht dafür, dass wir eine dauerhafte Entwicklung beobachten können. Auch wenn diese Entwicklung in vielerlei Hinsicht immer noch am Anfang steht: Geschäftsprozessmanagement ist vielfach bereits zum unverzichtbaren Element der Unternehmensführung geworden – und dies wird künftig in noch stärkerem Maße der Fall sein. Sicher: Die gegenwärtige Diskussion weist viele Züge eines Hypes auf. Und manches Schlagwort wird wieder in der Versenkung verschwinden. Möglicherweise werden Abkürzungen wie „BPM“ schon bald wieder völlig aus der Mode geraten.
Und auch Gegenbewegungen sind zu erwarten: So hat ja auch die funktionale Ausrichtung von Organisationseinheiten in gewissen Situationen den Vorteil der effizienten Ressourcennutzung. Dennoch wird die explizite Betrachtung und Steuerung der Abläufe im Unternehmen dauerhaft eine wichtige Rolle spielen. Vielleicht wird der Begriff „Geschäftsprozessmanagement“ in einigen Jahren aus der Mode geraten, weil das Konzept zum untrennbaren Bestandteil guten Managements geworden ist.