Buch BPMN Method & Style

BPMN Method and Style - Cover

Wenn man jemanden als Guru der Business Process Modeling Notation (BPMN) bezeichnen kann, dann ist es sicherlich Bruce Silver, der die Entwicklung und Anwendung der immer populäreren Prozessnotation in vielen Artikeln und regelmäßig auf seinem Blog BPMS Watch kommentiert und erläutert. Er ist auch aktiv in die Entwicklung der neuen Version BPMN 2.0 involviert, wo er sich insbesondere dafür einsetzt, dass die BPMN nicht nur auf die Spezifikation ausführbarer Prozesse ausgerichtet wird, sondern insbesondere auch die Anforderungen der fachlichen Modellierung berücksichtigt.

Sein englischsprachiges Buch BPMN Method and Style (Anzeige) ist nicht nur deswegen auf großes Interesse gestoßen, weil es als erstes Buch die BPMN 2.0 verwendet, sondern weil es sich über die Erläuterung der BPMN-Konstrukte hinaus damit beschäftigt, wie man bei der Modellierung sinnvoll vorgeht und wie ein guter Modellierungsstil aussieht. Denn wer die Notation kennt, kann deswegen noch längst nicht gute, d. h. aussagekräftige und verständliche Diagramme erstellen.

Silver schlägt drei Modellierungsebenen vor:

  1. Deskriptiv: Hier wird ein Basis-Set von  Modellierungselementen verwendet, um den grundlegenden Prozessablauf zu beschreiben. Z. T. werden hier einige BPMN-Regeln gelockert.
  2. Analytisch: Auf dieser Ebene wird die komplette Palette der BPMN angewandt. Es werden detaillierte fachliche Modelle erstellt, wobei Ereignisse, Ausnahmebehandlungen, Eskalationen etc. präzise abgebildet werden.
  3. Ausführbar: Die Modelle werden mit allen erforderlichen Details versehen, um von einer Process Engine ausgefüht werden zu können.

Die Modellierung gemäß Ebene 1 wird anhand eines einfachen Beispiels – eines Auftragsbearbeitungsprozesses – eingeführt. Neben dem Sequenzfluss wird hierbei bereits das Kollaborationsdiagramm zur Darstellung des Nachrichtenaustausches zwischen Kunde und Händler vorgestellt. Silver erläutert Daumenregeln, wie man entscheiden kann, wann ein Beteiligter als externer Teilnehmer (eigener „Pool“) und wann als Prozessbeteiligter (modelliert als „Bahn“, engl. „Lane“) dargestellt werden sollte. Anschließend wird die Palette der auf Ebene 1 verwendeten Modellierungskonstrukte im Einzelnen erläutert. Insbesondere verzichtet der Autor auf dieser Ebene auf Zwischenereignisse, interessanterweise wird auch der inklusive Gateway weggelassen, d. h. in Modellen der Ebene 1 gibt es ausschließlich exklusive und parallele Verzweigungen.

Die Modellierung folgt dem Top Down-Ansatz

Die vorgestellte Methode zur Entwicklung von BPMN-Diagrammen der Ebene 1 folgt dem Top Down-Ansatz. Zunächst wird der Prozess abgegrenzt, anschließend der typische Prozessablauf ohne eventuelle Ausnahmen modelliert. Im nächsten Schritt werden alternative Pfade hinzugefügt, z. B. der Ablauf, wenn ein Produkt nicht lieferbar ist. Sodann werden die Aktivitäten des Gesamtprozesses als Unterprozese ausmodelliert. Ggf. werden Nachrichtenflüsse und Datenflüsse hinzugefügt. Das Ganze wird an einem durchgängigen Beispiel, einem Autokauf, gezeigt. Das letzte Kapitel zur Ebene 1 befasst sich mit gutem Modellierungsstil. Hierfür hat Silver eine Reihe von Prinzipien aufgestellt, z. B. zur Benennung von Ereignissen und Aktivitäten oder wie man unterschiedliche Endereignisse eines Unterprozesses im übergeordneten Prozess weiter verarbeitet. Manche dieser Regeln sind tatsächlich eine Frage des Modellierungsstils, bei anderen handelt es sich um klare Vorschriften der Spezfikation, etwa dass ein Sequenzfluss keine Poolgrenzen überschreiten darf.

Der dritte Teil, der sich mit der analytischen Modellierung auf Ebene 2 befasst, ist der umfangreichste. Hier wird die BPMN detailliert erläutert und ausführlich diskutiert. So werden etwa die verschiedenen Möglichkeiten zur Modellierung von auftretenden Ausnahmen und Fehlern sowie zur Weiterleitung solcher Ereignisse an übergeordnete Prozesse systematisiert und hinsichtlich ihres Einsatzes besprochen. Auch dieser Teil enthält wiederum ein Methoden- und ein Stil-Kapitel. Bei der Methode wird von einem Modell der Ebene 1 ausgegangen, das nacheinander um Details zu Verzweigungen, zu alternativen Prozessauslösern, zu iterativen Aufgaben und zu Ausnahmebehandlungen erweitert wird. Der für Ebene 2 propagierte Modellierungsstil soll es insbesondere ermöglichen, dass sich die Diagramme gut zum Austausch zwischen Business und IT eignen. So gibt es u. a. Regeln für die Verwendung von Unterprozessen und die Darstellung von Ausnahmebehandlungen. Ein Kapitel über Austauschformate für BPMN-Modelle zwischen Modellierungstools schließt diesen Teil des Buches ab.

Die Modelle werden oftmals komplex

Die in BPMN 2.0 neu hinzugekommenen Diagrammtypen zur Darstellung von Choreographien und Konversationen werden nicht vorgestellt. Ob sie tatsächlich überflüssig sind, wie Silver meint, lässt sich diskutieren. Im Fokus der meisten Modellierer dürften aber tatsächlich eher Prozesse und Kollaborationen stehen, denen sich das Buch ausführlich widmet.

Der letzte Teil zur Modellierung ausführbarer Prozesse (Ebene 3) ist wesentlich kürzer als die anderen Teile. Das hängt damit zusammen, dass direkt ausführbare Modelle erst mit der noch nicht komplett verabschiedeten BPMN-Version 2.0 eingeführt wurden, und sie daher noch kein BPMS unterstützt. Es werden einige Beispiele vorgestellt, wobei zur grafischen Darstellung jeweils auch die XML-Repräsentation des jeweiligen Modells in Auszügen erläutert wird. Das Thema wird somit nur kurz angerissen. Wer sich für ausführbare BPMN-Modelle interessiert, findet hier sehr wenig.

Das Buch ist vor allem wegen seiner ausführlichen und detaillierten Auseinandersetzung auch mit schwierigeren BPMN-Konstrukten und ihrem Einsatz für die fachliche Modellierung zu empfehlen. Das sorgfältige Studium des Buchs verhilft zu einem vertieften Verständnis der Notation. Viele der Vorschläge und Prinzipien aus den Methoden- und Stil-Kapiteln können für die eigene Modellierung hilfreich sein. Ob sie in einem konkreten Fall unverändert angewendet werden sollten, muss individuell entschieden werden. Das Buch beantwortet längst nicht alle Fragen, die beim Aufstellen eigener Modellierungskonventionen auftreten, bietet aber nützliche Anregungen.

Ein Problem wird bereits im Buch selbst deutlich: Schon das komplette Ebene 1-Modell des eigentlich sehr einfachen Autokauf-Beispielprozesses sieht sehr komplex und unübersichtlich aus. Dieses Beispiel dürfte zumindest in Fachabteilungen nicht gerade für Begeisterung sorgen. Aufgrund der zusätzlichen Details ist dies im Modell der Ebene 2 noch stärker der Fall. Hinzu kommen noch einige offene methodische Fragen. So ist das Ebene 2-Modell keine Verfeinerung des Ebene 1-Modells, sondern eine Weiterentwicklung. Der Ablauf ist aufgrund zusätzlicher Pfade und Bedingungen tatsächlich anders als im Ebene 1-Modell. Die Frage, wie mit dieser Diskrepanz in der Praxis umgegangen wird, wie z. B. Prozessänderungen durchgeführt werden sollten, wird nicht beantwortet. Trotz dieser offenen Punkte ist das Buch  aber auf jeden Fall empfehlenswert.


Silver, Bruce:
BPMN Method and Style.
Cody-Cassidy Press 2009.
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