BPMN Luzern: Anwendertag

Der zweite Tag der BPMN 2011 war wieder der Praxis gewidmet. Einen Schwerpunkt bildete dabei die öffentliche Verwaltung, die mit einem eigenen, gut besuchter Track vertreten war. Die hohe Bedeutung des Prozessmanagements und der BPMN als gemeinsame Sprache in der Schweizer Verwaltung wurde bereits in der Eröffnungskeynote hervorgehoben. Mit Peter Fischer, dem Leiter des Informatikstrategieorgans des Bundes, hatten die Veranstalter einen prominenten Referenten gewonnen. Er betonte, wie wichtig durchgängige Prozesse über alle Ebenen seien. Die föderalen, dezentralen Strukturen der Schweizer Verwaltung machen dies jedoch nicht immer ganz einfach. Als Beispiel für das Reengineering eines Prozesses nannte Fischer das Baubewilligungsverfahren. Bislang muss letztlich der Kunde den Ablauf steuern und selbst die verschiedenen Genehmigungen diverser Ämter einholen. In Zukunft könnte der Prozess so aussehen, dass der Antrag bei einer zuständigen Behörde eingereicht wird, die dann den kompletten Prozess steuert und die Abfragen bei den anderen Ämtern durchführt. Viele dieser Abfragen ließen sich prinzipiell auch automatisieren.

Ein wichtiges Instrument zur Förderung des Prozessmanagements und einheitlicher Strukturen in der Schweizer Verwaltung sind eCH-Standards. Hier werden einheitliche Dokumentations- und Modellierungsstrukturen definiert. Für die Prozessmodellierung ist hierbei BPMN vorgegeben. Wie mehrere Vorträge  aus verschiedenen Bundesämtern, Kantonen und Gemeinden bewiesen, werden diese Standards in der Praxis sehr gut angenommen. Damit unterscheidet sich die Situation in der Schweiz deutlich von der in Deutschland, wo in den verschiedenen Verwaltungen eine Vielfalt ganz unterschiedlicher Notationen und Werkzeuge eingesetzt wird. Diesem Thema widmet sich das ebenfalls auf der Tagung vorgestellte Projekt der „Nationalen Projektbibliothek“ in Deutschland. Dort wird eine Plattform entwickelt, auf der alle Verwaltungen und Behörden Prozessmodelle hochladen und austauschen können – unabhängig von den verwendeten Tools und Notationen. Ergänzt werden die modellbezogenen Funktionen – wie Suchen, Anzeigen, Downloaden oder Editieren – um Social Software-Komponenten, über die sich z. B. Benutzer bestimmter Regionen, Behörden oder Funktionen zusammenschließen und austauschen können.

Ich besuchte mehrere Vorträge, die sich mit Vorgehensweisen und dem geeigneten Methodenmix in Projekten auseinandersetzten. Beispielsweise berichtete Daniel Albisser von der Firma ipt über ein System, mit dem Stromlieferanten und Großkunden die Stromlieferungen zeitlich abstimmen und planen können. Für die Entwicklung wurde ein Methodenset aus BPMN-Prozessmodell, Business Objekt-Modell, Service Design-Modell und Geschäftsregelspezifikation verwendet. Zum großen Teil wurde die Anwendung direkt aus diesen Modellen generiert. Vorteil ist die schnelle Änderbarkeit. Insbesondere die konsequente Trennung von Prozessablauf, Geschäftsregeln und Parametrisierung erwies sich als hilfreich, da diese drei Aspekte unterschiedlichen Änderungszyklen unterliegen. Das System ermöglicht insbesondere, dass Parameter und Regeln direkt von den jeweiligen Fachanwendern geändert werden konnten.

Als aktuelles Thema tauchte immer wieder das Adaptive Case Management als aktuell propagierter Ansatz zur Unterstützung wissensintensiver, nicht genau vorhersehbarer Prozesse auf. Die verschiedenen Referenten waren sich jedoch weitgehend einig, dass dieser Ansatz eher eine wichtige Ergänzung der bestehenden Prozessmanagement-Konzepte ist – und diese nicht etwa überflüssig macht. Der in verschiedenen Blogs erbittert geführten Methodenstreit wird daher als viel zu dogmatisch empfunden. Hierbei wurde auch über die „Case Management Model and Notation“ (CMMN) diskutiert, die derzeit bei der OMG entwickelt wird. Verschiedene Teilnehmer stellten in Frage, ob ein solcher Standard sinnvoll ist.

Natürlich durften auch die Toolhersteller nicht fehlen. So präsentierte Microsoft die BPMN-Modellierung in Visio. Es sind nicht nur einige nützliche Modellierungsfeatures implementiert, wie z. B. die Erzeugung eines Unterprozesses aus einem selektierten Modellausschnitt, sondern auch eine Validierungsfunktion, mit der man überprüfen kann, ob alle Regeln der BPMN-Spezifikation eingehalten sind. Allerdings ist momentan erst die Version BPMN 1.2 implementiert. Wer BPMN 2.0 benötigt, kann aber auf Add Ons verschiedener Microsoft-Partner zugreifen.

SAP setzt in immer mehr Bereichen konsequent auf BPMN als Standardnotation. Auch die SAP-Kunden werden künftig kaum noch um die Nutzung und Erweiterung von BPMN-Modellen im Rahmen herumkommen. Ob es um die Dokumentation und Anpassung der ERP-Standardprozesse, die kollaborative Prozessentwicklung mit SAP Streamwork, die Spezifikation ausführbarer Prozesse mit Netweaver BPM oder die Visualisierung des Prozessmonitoring geht – immer kommt BPMN zum Einsatz. Als Neuentwicklung stellte Volker Stiehl die Modellierung von Enterprise Integration Patterns vor, über die verschiedene Integrationsszenarien mehrerer zu koppelnder Systeme spezifiziert werden können. Und schließlich setzt auch die Software AG immer stärker auf die BPMN. Zwar findet sich im vorgestellten BPM-Kreislauf nach wie vor zumindest für die rein fachliche Modellierung noch die EPK, doch antwortete Peter Brosi auf eine entsprechende Nachfrage, dass Unternehmen, die noch keine EPK-Modelle nutzen, gleich mit BPMN beginnen können.

Auf reges Interesse stieß insbeondere die Keynote von Bruce Silver, einem der bekanntesten und einflussreichsten BPMN-Experten. Im Vorfeld hatte er erläutert, dass er aber zugleich einer der größten Kritiker der BPMN sei. Dennoch: BPMN sei vielleicht nicht die weltbeste Prozessmodellierungssprache – aber ein Standard. Er stellte die von ihm entwickelten Regeln zur Modellierung sowie zu Modellexport und Ausführung vor. Erstere richten sich vor allem an die Modellierer. Sie dienen dazu, Modelle möglichst präzise und eindeutig zu machen. Die Export- und Ausführungsregeln richten sich vor allem an Toolhersteller. Ihre Einhaltung ermöglicht u. a. eine bessere Austauschbarkeit zwischen Tools und die einheitliche Interpretation durch Process Engines. Diese Regeln sind in der gerade erschienenen Neuauflage seines Buchs „BPMN Method & Style“ näher beschrieben. Nächstes Frühjahr wird es davon auch eine deutsche Übersetzung geben.

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