Modellierung für das strategische Prozessmanagement

Inge Hanschke ist vor allem für das Thema Enterprise Architecture Management (EAM) bekannt. Eine Besprechung ihrer Bücher zu diesem Thema findet sich hier. Das Thema EAM ist herkömmlich stark von der IT getrieben, und auch wenn heutige EAM-Modelle in der Regel auch die „Business Architecture“ adressieren, so handelt es sich doch oft eher um die Sicht der IT auf das fachliche Ebene. Die eigentlich notwendige Integration der Beschreibungen, mit denen das Business selbst arbeitet, mit den Modellen der IT sucht man oft vergeblich.

Daher ist es sehr erfreulich, dass Inge Hanschke und Rainer Lorenz mit ihrem neuen Buch einen Beitrag dazu leisten, den Graben zu überwinden. Das Ziel einer Integration zwischen EAM und Prozessmanagement zieht sich denn auch als Leitmotiv durch das gesamte Werk. Eine wesentliche Aufgabe des strategischen Prozessmanagements ist es, Prozesse zu definieren, Transparenz zu schaffen und die langfristige Weiterentwicklung der Prozesse zu planen. Auf diesen Aufgaben liegt der Schwerpunkt des Buchs. Andere Aufgabenbereiche wie die strategische Prozesssteuerung und -kontrolle werden zwar genannt, aber nicht im Detail erläutert.

Um so ausführlicher wird hingegen beschrieben, wie sich die verschiedenen relevanten Sachverhalte geeignet visualisieren lassen. Hierfür definieren die Autoren insgesamt 14 verschiedene Ergebnistypen, die im strategischen Prozessmanagement je nach Aufgabenstellung erstellt und genutzt werden können. Einige davon, wie Prozesslandkarten oder Swimlane-Diagramme sind nichts Neues für Prozessmanager. Andere hingegen lehnen sich an vergleichbare Darstellungen aus dem EAM an. So kann man mit einem Prozessbebauungsplan etwa übersichtlich darstellen, welche Prozesse welche Produkte unterstützen, und von welchen Organisationseinheiten sie durchgeführt werden. Geht man einen Schritt weiter und fügt die unterstützenden Anwendungssysteme hinzu, so landet man bei den IT-Bebauungsplänen und schafft damit praktisch nahtlos den angestrebten Übergang zum EAM.

Andere Diagramme, wie Masterpläne, haben einen Zeitbezug und unterstützen somit die Ausrichtung des Projekt-Portfolios auf die Ziele des strategischen Prozessmanagements. Weitere Ergebnistypen sind etwa Bewertungsmatrizen zur Nutzen- oder Risikoabschätzung, oder Prozess-Portfoliodiagramme. Oftmals lassen sich die Diagramme verschieden konfigurieren. So können Prozess-Portfoliodiagramme ganz unterschiedliche Kriterien zum Vergleich der Prozesse verwenden, z. B. Prozesskosten oder die strategische Bedeutung.

Selbstverständlich muss man nicht alle Ergebnistypen einsetzen. Es sollten nur die ausgewählt werden, die für die konkrete Zielsetzung hilfreich sind. Das Buch gibt konkrete Hinweise, wie das strategische Prozessmanagement eingeführt und sukzessive über verschiedene Reifestufen hinweg aufgebaut werden kann. Auch die beteiligten Rollen und Gremien werden beschrieben. Für die Verwaltung der entstehenden Modell-Landschaft wäre eine gute Toolunterstützung hilfreich. Leider wird die vorgestellte Methodik von heutigen Tools noch nicht durchgängig unterstützt. Zumindest einige der Ergebnistypen lassen sich mit EAM-Tools erstellen. Wünschenswert wäre zudem eine Erweiterung oder Anbindung der im Prozessmanagement eingesetzten Modellierungstools.

Bei der Darstellung des Prozessmanagement-Reporting und der Weiterentwicklung der Prozesse beschränkt sich das Buch wiederum auf die eigentlichen Prozessdesign-Schritte und Modelle. So beziehen sich die Indikatoren des vorgestellten Prozessmanagement-Reporting hauptsächlich auf die Prozessmodelle, wie z. B. die Vollständigkeit der Modelle, die Zahl der Prozessschnittstellen oder das vom Management geschätzte Prozess-Risiko. Kennzahlen, die aus dem laufenden Betrieb stammen, wie z. B. Liefertreue oder Fehlerquoten, werden hingegen nicht angesprochen. Das Thema Performance Management, das für das strategische Prozessmanagement in der Praxis eine ganz zentrale Rolle spielt, ist damit nicht im Fokus des Buchs.

Ausführlich besprochen wird hingegen das Thema „Business Capability Management“, das in den letzten Jahren im EAM immer populärer geworden ist. Bislang hat sich für Business Capabilities oder „Geschäftsfähigkeiten“ noch kein ganz einheitliches Verständnis herauskristallisiert, und auch die Abgrenzung von Capabilities zu betrieblichen Funktionen und Geschäftsprozessen wird immer wieder diskutiert. Für Hanschke und Lorenz bilden Business Capabilities eine stabile fachliche Sprache, die die wesentlichen fachlichen funktionalen Einheiten des Geschäftsmodells zusammenfasst. Geschäftsprozesse nutzen feingranulare Capabilities. Man kann die Prozesse recht leicht verändern, indem man die vorhandenen Capabilites in einer anderen Zusammensetzung orchestriert. Die Capabilities lassen sich mit Hilfe von Capability Maps visualisieren.

Das Business Capability Management unterstützt die Business- und Investitionsplanung sowie Reorganisationsprojekte und die Vorbereitung der IT auf Veränderungen im Business. Daher wird im Buch betont, dass das Business Capability Management eng mit dem strategischen Prozessmanagement verknüpft werden muss. In den meisten Unternehmen, die Business Capability Management betreiben, dürfte dies bislang in der IT angesiedelt sein. Das ist auf Dauer sicher nicht sinnvoll. Dennoch stellt sich die Frage, ob es ein eigenständiges Business Capability Management geben sollte, wie dies im Buch dargestellt wird, oder ob diese Aufgabe nicht nahtlos in das Prozess- und IT-Management integriert werden sollte.

Wie bereits angesprochen deckt das Buch nicht alle Aspekte des strategischen Prozessmanagements in gleicher Ausführlichkeit ab. Für das Design und die Modellierung von Prozessen auf strategischer Ebene liefert es auf jeden Fall sehr nützliche und praxisorientierte Hilfestellungen um eine systematische und praxisorientierte Dokumentation aufzubauen und hierdurch eine bessere Zusammenarbeit zwischen Business und IT zu erreichen.


Hanschke, I.; Lorenz, R.:
Strategisches Prozessmanagement einfach und effektiv.
Ein praktischer Leitfaden.
Hanser 2012.
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