Ist der Prozess-Gedanke tot?

In eine ähnliche Kerbe wie Tery Schurter in dem kürzlich hier besprochenen Paper „BPM State of the Nation 2009“ schlägt auch Max Pucher auf bpm.com. Er verkündet gleich den Tod des Prozess-Gedankens an sich: „The Death of Process, PERIOD“. Ein genau vorgegebener Prozess sei vielleicht für die Fertigung okay. Wo Menschen zusammenarbeiten und kreativ sind, sei ein solcher Prozess hingegen absoluter Blödsinn. Unternehmen wollten agil sein, verpassten ihren Mitarbeitern aber Zwangsjacken in Form von Prozessen.

Was ist Puchers Meinung nach stattdessen notwendig? Es müssen lediglich Ziele definiert, ein paar Meilensteine vereinbart und einzuhaltende Regeln festgelegt werden – nicht hingegen ein bis ins Kleinste vordefinierter Ablauf. Anwendungssoftware soll iterativ entwickelt werden: Die IT entwickelt eine erste Version, die Anwender arbeiten damit, und aufgrund des Feedbacks werden in kurzen Abständen Verbesserungen und Erweiterungen ausgeliefert. Die Mitarbeiter benötigen lediglich ein System zur kollaborativen Zusammenarbeit, wo sie jederzeit auf alle zu einem bearbeiteten Fall oder Auftrag verfügbaren Informationen zugreifen können. Der genaue Ablauf ergibt sich durch die selbstverantwortliche Zusammenarbeit der Mitarbeiter und ihre Entscheidungen.

Was ist von diesem Beitrag zu halten? Zwar hat Pucher inhaltlich recht, doch handelt es sich für jeden, der sich ernsthaft mit dem Thema Prozessmanagent auseinandersetzt, um Binsenweisheiten. Je individueller, wissensintensiver und kreativer eine Aufgabe ist, desto weniger können und dürfen starre, festgefügte Abläufe vorgegeben werden. Dennoch handelt es sich auch bei derartigen schwach strukturierten Abläufen ebenso um Prozesse, die ebenfalls „gemanaged“ werden müssen.

Nur wer den Begriff „Prozess“ mit einem fest vorgegebenen, zwangsläufig durch ein Workflow-System gesteuerten Ablauf gleichsetzt, für den mag die plakative Überschrift „The Death of Process“ zutreffen. Leider scheint dieser mechanistische Gedanke in der IT-nahen „BPM“-Community noch recht weit verbreitet zu sein.

Ansonsten ist es einmal mehr ziemlich kontraproduktiv, erst alles, was mit Prozessen zu tun hat, unkritisch hochzujubeln, um es dann genauso mit ebenso lautem Getöse wieder für tot zu erklären.

11 Gedanken zu „Ist der Prozess-Gedanke tot?“

  1. Ja, das „hypen“ bzw. „bashen“ in einer derart oberflächlichen Weise ist in keinem Fall hilfreich. Die aktuelle Diskussion zwischen der Orga- und IT-Community zu BPM finde ich im Vergleich viel konstruktiver, weil tiefer gehend.

  2. Dazu fällt mir nur folgendes ein: Wären vor der „Krise“ klare Prozesse definiert worden, so wäre uns sicherlich einiges erspart geblieben.
    Gerade bei der Hypo Real Estate gab es doch überhaupt kein funktionierendes Prozessmanagemnt bzw. irgendein funktionierendes Risikomanagemnt.
    Unabhängig von der „Finanzkrise“ brauchen wir überall dort klare Rahmenbedingungen, wo Menschen arbeiten und Werte schaffen.
    Da reichen nicht mal eben ein paar Meilenstine und die vielbeschworene Selbstverantwortlichbarkeit aus.
    Wer soll/will den haften, wenn auf Grund eines Fehlers im kreativen Denkprozesses 100.000 € in den Sand gesetzt werden?
    Der Mitarbeiter? Wohl kaum!
    BPM im Zusammenhang mit BPMS kann hier bestimmte Sicherheiten bieten. Voraussetzung ist natürlich eine vernünftige Umsetzung.

  3. > Unabhängig von der “Finanzkrise” brauchen wir überall
    > dort klare Rahmenbedingungen, wo Menschen arbeiten
    > und Werte schaffen.

    Das ist mit Sicherheit richtig. Wobei die Frage ist, wie die Rahmenbedingungen für jeden Prozess sinnvoll definiert werden. Nicht in jedem Fall ist eine genau vorgegebene Sequenz von Aktivitäten die richtige Art und Weise dafür. Wahrscheinlich hat die Hypo Real Estate einen definierten Prozess, wie ein Kredit vergeben wird. Krasse Fehlentscheidungen lassen sich dadurch aber nicht völlig eliminieren.
    Die Frage ist: Hätte der BPMS der Hypo Real Estate tatsächlich helfen können, ihr Problem zu verhindern?
    Ich denke, Rahmenbedingungen in Form von klaren Regeln Grundsätze und Vorgehensweisen, z. B. zur Risikobewertung, (in einem ganz gewöhnlichen Dokument niedergeschrieben) sowie die regelmäßige und ernsthafte Überprüfung durch Kontrollgremien, ob das Management diese Regeln einhält, wären hier das Mittel der Wahl gewesen.

    Technik kann dann beispielsweise helfen, daran zu erinnern, dass gewisse Kontrolltätigkeiten ausgeführt werden, sowie durchgeführte Maßnahmen und Entscheidungen zu dokumentieren.

  4. Sie haben vollkommen Recht! Gerade BPMS verführt einen ja gerade dazu Worklfows bis ins letzte Detail zu definieren und den Menschen keine Freiheiten zu gewähren.
    Davon halte ich, vielleicht bis auf ganz wenige Ausnahmen die mir jetzt aber sponatn nicht einfallen wollen, rein gar nichts.
    Der Mensch ist keine Maschine und sollte es auch nicht werden.
    Rahmenbedingungen dürfen uns Menschen in unserer Arbeit nicht so einschränken, dass wir das Gefühl haben jemand will uns in etwas hinein zwingen.
    Am Schluss steht immer der Menschen. Wenn der Mensch seine Aufgabe nicht versteht bzw. absichtlich „sabotiert“ hilft auch das beste Prozessmanagemnt nicht weiter.
    Die Technik kann, wie Sie schon sagten, nur helfen diese Fehler frühzeitig aufzudecken.

  5. Für mich stellt sich eher die Frage: „Hat der Prozess-Gedanke jemals gelebt?“

    Richtig ist, dass eine starre Workflow-Vorgehensweise die Kreativität einschränkt und damit den Vordenkern die Luft zum Atmen raubt.

    Doch das, was Pucher als ausreichend erachtet, stellt selbst einen Prozess dar (wie bereits angemerkt).

    Insofern fährt sich nicht der Prozessgedanke tot, sondern eine unaufhörlich geführte, ermüdende Diskussion darüber, welche Methode nun „die beste“ sei und mit welchem Tool nun „am besten“ gearbeitet wird. Damit wurde und wird oftmals nur eines erreicht: Prozessmanagement wird zur kostenintensiven Streiterei, die keinen Output bringt und sich damit vor Kostenverantwortlichen nicht behaupten kann.

    Dabei beginnt der erste Benefit bereits dort, wo man sich mit dem eigenen Tun der Unternehmung auseinander setzt. Unabhangig davon wie wissenschaftlich und professionell diese Auseinandersetzung geführt wird.

    Getreu dem Motto „MENSCH, Methode, Tool“ sollte der Gedanke in den Menschen vorhanden sein – am besten ohne Schlagwörter mit denen man sich gerne schmückt um wichtig und innovativ zu klingen. Der Mensch muss es verstehen, mit dem Verstehen beginnt die Arbeit der Verbesserung und damit der Output.

    Dies stellt aber natürlich nur meine Bescheidene Meinung zum „Hype“ BPM dar.

  6. Danke, dass sie meinen Beitrag aufgegriffen haben.

    Ich sehe BPM nicht in einer Sinnkrise sondern in einer Krise der Beweislage. Es gibt ganz einfach keine unabhängigen Studien die belegen, dass breiter (wie vorgeschlagen 80% aller Prozesse) Einsatz von BPM überhaupt machbar ist, noch dass es langfristig unternehmerischen Nutzen bringt. Punktum.

    Ich fordere eine humanen Sicht von Prozessen. Natürlich ist alles ein Prozess, aber das liegt daran dass die menschliche Fähigkeit solche zu erkennen durch die Funktion unseres Erinnerungsvermögens eingeschränkt ist. Menschen erinnern sich nur in Veränderungen und nicht in Bildern. Unsere Entscheidungsfähigkeit ist jedoch eine emotionale (intuitive) Gewichtung von Erkennungsmustern. Der Ablauf an den wir uns erinnern ist nicht real und besteht aus einer Reihe von ad-hoc Entscheidungen (oft veschiedener Pesonen) die von Boolscher Logik meilenweit entfernt sind. Das heisst jeder Prozess ist abstrakt und irreal.

    In der Produktion ist das alles klassisch-phyiskalisch planbar und funktioniert. Dort wo Menschen miteinander interagieren handelt es sich um ein komplexes, adaptives System von unabhängigen Agenten die man nicht zerlegen und kausal vernetzen kann. Das ist meine Kritik an der unmenschlichkeit von BPM Konzepten. Sie reduzieren die Fähigkeit des Unternehmens sich an die Umgebung anzupassen. Methoden werden da nirgends hinführen.

    Ich behaupte, dass wir Technologie benötigen die es dem Benutzer ermöglicht ohne Prozessanalyse mit strukturierten Daten und unstrukturierten Inhalten, in strukturierten Organisationen sowie sozialen Netzwerken – mit interaktiv erlernten Entscheidungsmustern – sicher strukturierte Prozesse und unstrukturierte Kollaboration, transparent und nachvollziehbar auszuführen.

    BPM ist das nicht und kann sich dahin auch nicht entwickeln. Das liegt an dem komplett unterschiedlichem Modell des Lebenszyklus. Web 2.0 hat da mehr Chancen.

  7. Vielen Dank für den Hinweis. Der Beitrag ist von bpm.com tatsächlich verschwunden. Ich habe ihn auf Max Puchers eigenem Blog ebenfalls gefunden und jetzt dorthin verlinkt.

  8. Auch wenn diese Diskussion schon was her ist, ich habe den Aspekt mal aufgegriffen und die Flexibilität von Workflow mal auf Basis von SAPERION konkret diskutiert. Es muss also nicht gleich die Zwangsjacken sein. Aber den adaptiven Gedanken in Kombination mit den Happy Path finde ich richtig gut.
    Mein heutiger Post: Wird die nächste Generation von Workflow-Systemen adaptiv?
    http://www.saperionblog.com/lang/de/wird-die-nachste-generation-von-workflow-systemen-adaptiv/1820/#more-1820

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