Pragmatische Ansätze sind Best Practice im BPM

Titel BPM Bes PracticeEs ist nicht der erste Sammelband mit Praxisberichten über erfolgreiche BPM-Initiativen. Doch das neu erschienene Werk „BPM Best Practice“ (Anzeige) unterscheidet sich von anderen Sammelbänden. Denn Ayelt Komus, Professor an der FH Koblenz, verwendet den Begriff „Best Practice“ nicht als Schlagwort, sondern hat in einer Studie selbst untersucht, was gute Prozessmanagement-Praxis tatsächlich bedeutet. Die meisten Studien zum BPM verwenden Fragebögen im Internet, die von den Teilnehmern selbst ausgefüllt werden. Hierbei haben die Organisatoren nur begrenzt Einfluss auf die Zusammensetzung der Teilnehmer. Ebenso wenig ist es möglich, auf die individuelle Situation einzelner Unternehmen einzugehen. Komus hat daher einen anderen Ansatz gewählt: Er befragte eine Reihe von Unternehmen in persönlichen Interviews. Zwar sind die Ergebnisse hierdurch weniger repräsentativ, doch lässt sich ein wesentlich genaueres Bild der Prozessmanagement-Praxis bei den befragten Unternehmen gewinnen. Um wirklich Best Practice-Unternehmen zu finden, bat Komus führende BPM-Anbieter um die Nennung von Kunden, die ihrer Meinung nach über ein besonders vorbildliches Prozessmanagement verfügen. Insgesamt interviewte er 17 zumeist größere Unternehmen unterschiedlicher Branchen.

Die Praxisbeiträge in dem Buch stammen zum größten Teil von diesen Unternehmen. Vertreten sind unter anderem AOK, Bayer, Deutsche Bank, EnBW, E.ON, Generali und Lufthansa. Die Beiträge decken mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten das Gesamtspektrum des Prozessmanagements ab – von der Strategie bis zur Implementierung von BPM-Technologie. Es handelt sich jeweils wirklich um vorbildliche Projekte und Initiativen. Die Darstellungen bleiben nicht auf der Ebene oberflächlicher „Success Stories“, sondern gehen durchaus in die Tiefe, weshalb sie auch von erfahrenen BPM-Profis mit Gewinn gelesen werden dürften. Zwei abschließende Beiträge befassen sich zum einen mit einer Studie über BPM und Six Sigma, die hier bereits einmal erwähnt wurde, zum anderen mit BPM-Technologie und der Vision eines BPM-Roundtrips. Den letztgenannten Beitrag durfte ich beisteuern.

Besonders lesenswert ist aber der einführende Beitrag des Herausgebers, in dem er die Ergebnisse seiner Interviews vorstellt. Hier einige interessante Punkte daraus:

  • Die Unternehmen hatten ganz verschiedene Gründe, BPM einzuführen. Zum Teil kam der Anstoß aus der IT, zum Teil waren externe Compliance-Anforderungen der Auslöser. Ansonsten war es ganz wesentlich, dass die Unternehmensführung vom konkreten Nutzen überzeugt werden konnte. Bottom-up getriebene Initiativen scheitern oftmals daran, dass es ihnen nicht gelingt, dem Vorstand diesen konkreten Nutzen deutlich zu machen.
  • Die befragten Unternehmen berichteten durchgehend von deutlichen Erfolgen, die mit BPM erreicht wurden, wobei eine erhöhte Transparenz, Qualitätssteigerungen sowie Verbesserungen der Kundenzufriedenheit im Vordergrund stehen. Einen Return on Investment (ROI) errechneten nur wenige Unternehmen – und dann zumeist nur auf Einzelprojekte bezogen. Bezogen auf die Gesamtunternehmen bestätigte die Untersuchung erneut einen positiven Zusammenhang zwischen BPM und Unternehemnserfolg (vgl. auch diesen Beitrag). Einen positiven Effekt hat insbesondere auch die Nutzung von Prozesskennzahlen.
  • Interessant ist insbesondere die Tatsache, dass die betrachteten Unternehmen viele Themen im Vergleich zur „reinen Lehre“ eher pragmatisch angehen. So findet sich kaum eine wirklich systematische Verbindung von Unternehmensstrategie und Prozessmanagement. Das heißt aber nicht, dass BPM völlig losgelöst von der Strategie betrieben wird. Eine Abstimmung erfolgt eher implizit durch die beteiligten Personen, die die Unternehmensziele und -strategien kennen und die BPM-Aktivitäten entsprechend ausrichten. Auch findet zumeist keine enge Einbindung von Kunden und Lieferanten in das eigene Prozessmanagement statt.
  • Ähnlicher Pragmatismus herrscht auch bei der Prozessmodellierung. Zwar wird vielfach angestrebt, ein einziges Tool im ganzen Unternehmen zu verwenden. In der Praxis lebt man oftmals aber doch mit mehreren Tools. Ebenso wird das Ziel einer durchgängigen Verknüpfung sämtlicher Einzelmodelle zwar verfolgt, aber nur selten erreicht. Fachliche Modelle und IT-Modelle sind in der Regel nicht dauerhaft miteinander vernetzt.
  • Während sehr stark strukturiere Prozesse zumeist mit ERP-Systemen abgewickelt werden, kommt spezielle BPM-Technologie (Workflow- oder Business Process Management-Systeme) vor allem bei Prozessen mit einem mittleren Strukturierungsgrad und einer mittleren Durchführungshäufigkeit zum Einsatz.
  • Im Gegensatz zu den öffentlichen Diskussionen um Enterprise 2.0 und Social BPM wird Social Software derzeit noch wenig eingesetzt.
  • Fast alle teilnehmenden Unternehmen verfügen über einen zentralen BPM-Bereich. Zum größten Teil sind Prozessverantwortliche definiert. Diese haben jedoch meist keine Weisungsbefugnis und nehmen ihre Rolle teilweise neben anderen Tätigkeiten wahr. Formal ernannte „Chief Process Officer“ (CPO) sind die Ausnahme. Zumeist findet sich der BPM-Verantwortliche auf der zweiten oder dritten Führungsebene.
  • Die Unternehmenskultur und die Bereitschaft zur Veränderung wird bei allen als wesentlicher Erfolgsfaktor angesehen.
  • Zwischen dem IT-getriebenen „technischen BPM“ und „Business BPM“ klafft in der Praxis häufig noch eine große Lücke.

Abschließend erarbeitet Komus einige Vorschläge zur weiteren Verbesserung der existierenden BPM Best Practice. Er sieht den pragmatischen Umgang mit Prozessmanagement-Ansätzen durchaus positiv. Um systematisch zu ermitteln, welche Methoden und Technologien im Einzelfall sinnvoll eingesetzt werden sollten, schlägt er vor, verschiedene BPM-Potenzialindikatoren heranzuziehen, wie z. B. Häufigkeit der Prozessdurchführung, Wettbewerbsrelevanz oder Compliance-Anforderungen. Eine durchgängige Integration zwischen fachlichen und technischen Prozessmodellen hält er für schwierig zu realisieren. Er plädiert daher für eine lose Kopplung zwischen derartigen Modelltypen.

Für eine bessere Verzahnung von Business BPM und IT entwirft er einen integrierten IT-BPM-Bereich, in dem die grundlegenden konzeptionellen und übergeordneten Steuerungsaufgaben zusammengeführt werden. Die Verantwortlichkeit für die einzelnen Prozesse liegt bei Prozessverantwortlichen, die damit das Bindeglied zu den Fachbereichen darstellen. Im Bereich Kultur und Wissensaustausch sieht er große Potenziale für den künftigen Einsatz von Social Software (vgl. auch diesen Beitrag).


Komus, A. (Hrsg.):
BPM Best Practice.
Wie führende Unternehmen ihre Geschäftsprozesse managen.
Springer 2011.
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