Prozessmanagement kommt nicht mehr ohne Process-Mining aus

Process-Mining ist derzeit eines der populärsten Themen im Bereich des Geschäftsprozessmanagements. Nachdem sich lange Zeit fast nur die akademische Forschung damit beschäftigt hatte, ist das Thema mittlerweile in der Praxis angekommen. Immer mehr Unternehmen sind fasziniert davon, den tatsächlichen Ablauf ihrer Geschäftsprozesse analysieren zu können. Grundlage hierfür sind die elektronischen Spuren, die die Prozesse in den betrieblichen Informationssystemen hinterlassen.

Das Buch „Process Mining in Action“ beleuchtet das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven. Der erste Teil fasst zunächst die wesentlichen Grundlagen zusammen und liefert dann einen Leitfaden und Empfehlungen für die Einführung von Process-Mining. Projekte ohne eine geeignete Vorgehensweise scheitern häufig. So kommt es unter anderem darauf an, geeignete Prozesse auszuwählen und konkrete Ziele zu bestimmen. Als Beispiele werden insgesamt 22 typische Anwendungsfälle mit entsprechenden Zielsetzungen aufgeführt. So kann es im Bereich CRM darum gehen, Verzögerungen bei der Auftragsbearbeitung zu erkennen und ihre Ursachen zu beseitigen. Im Bereich Compliance möchte man beispielsweise Abweichungen von den vorgeschriebenen Prozessen finden.

Als weitere wichtige Erfolgsfaktoren werden zum einen die Motivation und die Qualifikation der Mitarbeiter genannt, zum anderen die Identifikation, Extraktion und Interpretation der Rohdaten. Letztere sind meist über mehrere Systeme verstreut und liegen in unterschiedlicher Form und Qualität vor. Ein eigenes Kapitel widmet sich speziell möglichen Stolperfallen in Process-Mining-Initiativen. Schließlich wird das mögliche Zusammenspiel von Process-Mining mit anderen Technologien wie BPM-Systemen und Robotic-Process-Automation (RPA) diskutiert. So kann man Process-Mining einsetzen um diejenigen Aktivitäten zu identifizieren, für die sich eine Automatisierung mit Hilfe von RPA besonders lohnt.

Im zweiten Teil des Buchs werden insgesamt 12 Praxisbeispiele beschrieben. Die meisten stammen aus bekannten Unternehmen wie Siemens, Uber, BMW, Bosch, ABB und Deutsche Telekom. Dass Process-Mining aber nicht nur ein Thema für Großkonzerne ist, wird an den Beispielen eines amerikanischen Gesundheitsdienstleisters und eines mittelständischen Elektronikgroßhändlers deutlich. Die beschriebenen Unternehmen setzen Process-Mining für ganz unterschiedliche Prozesse ein, wie z. B. Auftragsabwicklung, Beschaffung, Kundensupport, Produktion oder die Genehmigung medizinischer Behandlungen. Dabei muss es sich nicht nur um unternehmensinterne Prozesse handeln. So setzt ein Hersteller von Computertomographen Process-Mining ein, um die Abläufe bei der Nutzung seiner Geräte zu analysieren und Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren.

Obwohl die Fallbeispiele ganz unterschiedlich sind, finden sich doch immer wieder ganz ähnliche Einschätzungen. Zum einen stellt die Einführung von Process-Mining einen beträchtlichen Aufwand dar. Zum anderen berichten fast alle Autoren von einer nie gekannten Transparenz über die Prozesse, die zum Teil überraschende Erkenntnisse brachte und signifikante Verbesserungsmöglichkeiten eröffnete. So konnte Siemens den Anteil der automatisierten Aktivitäten im Auftragsbearbeitungsprozess um 24% erhöhen und notwendige manuelle Überarbeitungen um 11% reduzieren. Bereits im ersten Jahr wurden zehn Millionen manuelle Arbeitsschritte eingespart.

Die meisten der betrachteten Unternehmen sind aber nicht bei einer einmaligen Analyse und Verbesserung stehen geblieben. Vielmehr nutzen sie Process-Mining für ein kontinuierliches Monitoring und die ständige Weiterentwicklung der Prozesse. Aktuell diskutierte Ansätze zum Einsatz von künstlicher Intelligenz – etwa zur Vorhersage der zu erwartenden Durchlaufzeit eines bestimmten Auftrags – werden von einigen Unternehmen evaluiert, sind aber noch nicht weit verbreitet.

Sehr nützlich ist es, dass in den Beschreibungen der Praxisbeispiele nicht nur die erreichten Erfolge, sondern auch aufgetretene Schwierigkeiten und Probleme dargestellt werden.

In Teil 3 geht es um künftige Entwicklungen. Aus Sicht des wohl bekanntesten Process-Mining-Experten, Wil van der Aalst, gibt es zahlreiche interessante Forschungsfragen, wie z. B. das Zusammenspiel von Process-Mining und Prozessmodellierung, die Nutzung unsicherer und stochastischer Informationen, oder die automatische Ermittlung von Ursachen für Abweichungen und Problemen. Zudem weist er darauf hin, dass die meisten kommerziellen Process-Mining-Tools noch Defizite aufweisen. So werden aus Performance-Gründen Vereinfachungen verwendet, die zu falschen Häufigkeitsangaben oder nicht richtig erkannten Schleifen im Ablauf führen.

Der Herausgeber des Buchs erwartet mittelfristig das Entstehen selbst-lernender und selbst-optimierender Systeme. Hierfür werden die Anbieter Process-Mining mit verschiedenen anderen Technologien integrieren, wie ERP-Systeme und BPM-Systeme zur Prozessausführung. Seine Vision ist eine „Digital Enabled Organization“, bei der die meisten Standardprozesse komplett automatisiert sind. Mit Hilfe maschinellen Lernens können dann auch viele Ausnahmen ohne menschliche Eingriffe behandelt werden. Wenn die Standardprozesse durchgängig automatisiert sind, verschiebt sich der Fokus des Process-Mining auf komplexere und unternehmensübergreifende Prozesse. Nicht zuletzt kann Process-Mining auch dabei helfen, Verschwendung und negative Auswirkungen auf die Umwelt zu identifizieren – und so dazu beitragen, Unternehmen umweltfreundlicher zu machen.


Lars Reinkemeyer (Hrsg.):
Process Mining in Action (englisch).
Springer 2020.
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